Nauders Reschenpass
etwas, was ein Trailbike können muss?
Ich kam nach der Hälfte des Bunkertrails in Nauders zum Stehen...
…die Stelle sollte jedem Nauders-Touri und Biker mit einem Instagram-Account bekannt sein. Große Steinplattenlagen hinter mir. Vor mir erstreckte sich der Reschensee. Dahinter der obere Vinschgau mit Blick auf das Ortler massiv. Sehen konnte ich das alles nicht. Denn Nebelschwaden umgaben mich. Mysteriös. Genauso mysteriös war mir das Bike, auf dem ich unterwegs war. 120 mm?
Da stand doch ganz klar 120 mm am Ende des Unterrohrs. Kann das richtig sein? Was verleiht dem Trail 429 dieses satte Fahrgefühl? Und warum kam ich überhaupt auf die Idee, mit einem kurzhubigem Fully nach Nauders zu fahren?
Ein paar Tage zurück. Recht spontan verabredete ich mich mit Freunden in Nauders. Im Keller stand eigentlich mein universelles Bike für alles: das Switchblade. 160/142 mm progressiver Federweg sind für fast alles, was ich fahre, das perfekte Match. Bergab genug Reserven und bergauf hält es selbst mit leichten Trailbikes mit. Warum also mit geringerem Federweg unterwegs sein?
Das Trail 429 im Enduro Build hat weniger. 140 mm an der Front. 120 mm am Heck. Klingt nicht besonders viel. Der Hinterbau am Switchblade fühlt sich aber auch nach mehr an. Wie wird es am Trail 429 sein? Zu wenig für die rauen Trails im 3-Länder-Eck? Als sich die Möglichkeit ergab, das Trail 429 ordentlich zu testen, ergriff ich sie. Ab nach Nauders. Kurz vor Abfahrt schiebe ich das Switchblade trotzdem als Backup-Lösung ins Auto. Ich bin neugierig, aber nicht verrückt.
Samstagmorgen.
Ankunft im nassen Nauders.
Nebel hängt in den
Berg - und Baumspitzen.
„Vielleicht nicht gerade die besten Bedingungen, um auf nassen
Steinen und Wurzeln zu fahren“
...ging mir durch den Kopf. Meine Kollegen würden erst am Abend ankommen. Solomission. Nur ich und das Trail 429. So konnten wir erst mal langsam auf Tuchfühlung gehen. Setup gemacht. Erster Lift nach oben. Ausstieg aus der Bergkastel-Bahn. Ab auf den ersten Trail.
Alles beginnt mit Flow.
Wellen. Pumpen. Pushen. Abziehen.
Hier und da ragten fiese Steine aus dem Boden, die mich und meine Felgen tückisch angrinsten.
Am Ende des ersten Trailabschnitts denke ich an den nächsten. Eine Eingewöhnungsphase gab es nicht. Das ging schnell. „So schnell wie das Bike!“, dachte ich. Antritt und wir sprinteten in den nächsten Abschnitt. Wie ein Silberpfeil flogen wir gemeinsam über Wurzeln und durch Kurven.
Bergkastel-Trail
Mühelos legten wir die erste Sektion zurück. Kurze Gegenanstiege. Entspannte Wellen. Dann ging es los mit der eigentlichen, langen Abfahrt ins Tal. Souverän tanzte das Trail 429 mit mir über die Steine hinweg und beschleunigte mich durch die Anlieger. Ich war ungläubig und begeistert. Dieser Trail konnte mit seinen engen Kurven anstrengend sein. Doch nicht heute. Entspannt und mit einem Lächeln genoss ich die Abfahrt. Auf dem Parkplatz ein kleiner Snack und schon ging es wieder auf den Berg. Oben angekommen, begab ich mich direkt auf den flowigen Start-Trail. Kontrolliert und mit wenig Kraftaufwand schoss ich wenig später aus dem letzten Rechtsanlieger. Ab in Richtung Bunkertrail, über einen anspruchslosen Transfertrail. Kleine Kanten. Mini-Wellen. Ich spielte mit allem. Abziehen. Hinterradflicks. Ich glaubte nie daran, dass einmal zu sagen, aber mit dem Trail 429 hatte ich auch hier Spaß.
Am Eingang des Bunkertrails. Plötzlich war ich wieder voller Zweifel. Ein Rad, mit dem ich auf simplen Trails so spielen konnte im Groben? Ich wurde etwas nervös. Wie verhält sich das Bike, beiden Steinplatten und den größeren Stufen? Und dann auch noch im Nassen. Es war Zeit, es herauszufinden. Die erste Sektion meisterte der Silberpfeil, ohne auch nur Meldung zu geben. Ich konnte es nicht fassen. Satt auf der Strecke. Immer der Wille, weiter nach vorn gepeitscht zu werden. Dann kam die Linkskurve, die auf ein Highspeed-Stück mit großen Steinplatten und Absätzen führt.
Meine anfängliche Nervosität wurde von Vertrauen verdrängt: „Okay dann schauen wir mal, was du wirklich kannst.“
Bremse auf. Los geht’s. Steinkanten bemerkte ich kaum. Das Bike flog über die Strecke. Sekunden später spuckte mich die Steinformation unten wieder aus. Ich war geflasht: „Nie im Leben sind das 120 mm!“ Egal, welche Strecke ich in Nauders unter die Stollen nahm – das Spiel wiederholte sich. Nichts war dem Trail 429 zu viel. Fasziniert, euphorisch und verwirrt schickte ich meinen Kollegen eine Sprachnachricht: „Der 120-mm-Sticker auf dem Unterrohr muss ein Fehler sein …!“ Das Bike fühlte sich bei Hindernissen deutlich potenter an, als man vermuten würde. Eine fein abgestimmte, progressive Kennlinie gab mir ein Gefühl ohne Limit. Ich hatte ein neues Lieblingsbike. Zum Nachteil des Switchblades.
Das stand das restliche Wochenende nur im Auto.